Bergoglio ist neuer Papst Franziskus

Überraschend ist am Mittwochabend der 76-jährige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, zum neuen Papst gewählt worden. Für sein Pontifikat wählte er den Namen Franziskus. Der neue Pontifex wirkte demütig und sehr menschlich.
Am Mittwochabend um 19.06 Uhr begann aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle plötzlicher weisser Rauch aufzusteigen. Und kurz darauf liess auch das Geläut der Glocken des Petersdoms keine Zweifel mehr übrig: Die 115 wahlberechtigten Kardinäle der römisch-katholischen Kirche hatten bereits am zweiten Tag ihres Konklaves und im fünften Wahlgang einen neuen Papst aus ihrem Kreis wählen können. Darob brachen die Zehntausende von Gläubigen, Pilgern und Schaulustigen, die im strömenden Regen auf diesen historischen Moment gewartet hatten, in lange anhaltendes Freudengeschrei aus.

Mehr Pastor als Theologe

Eine gute Stunde später trat der Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran auf die Loggia des Petersdoms, um der aufgeregten, frenetisch «viva il Papa» skandierenden und immer stärker anschwellenden Menge zu verkünden: «Annuntio vobis gaudium magnum. Habemus Papam» (Ich verkünde euch eine grosse Freude. Wir haben einen Papst). Dann teilte der französische Purpurträger mit, dass der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum 265. Nachfolger Petri und damit zum 266. Bischof von Rom gewählt wurde. Dabei habe dieser für sein Pontifikat den Namen Franziskus gewählt.

Damit erwies der neue Papst dem heiligen Franz von Assisi die Ehre, der in völliger Bescheidenheit nach dem Vorbild Jesu Christi und gemäss dem Evangelium «sine glossa», das heisst ohne Hinzufügungen, lebte. Von beeindruckender Demut und menschlicher Direktheit waren dann auch die Worte des neuen Papstes, der vorab seine Aufgabe als Bischof von Rom in den Vordergrund stellte und die Gläubigen darum bat, auch für ihn zu beten.

Die Wahl des Erzbischofs von Buenos Aires war in mehrfacher Hinsicht eine grosse Überraschung. Er ist nicht bloss der erste Papst, der aus Übersee stammt beziehungsweise vom «Ende der Welt», wie er es am Mittwochabend selber formulierte. Er zählte auch überhaupt nicht zu den Top-Favoriten. Ferner ist bemerkenswert, dass er beim Konklave von 2005, wie man in den letzten Jahren immer wieder munkelte, der Gegenkandidat zum damals gewählten deutschen Kardinal Ratzinger gewesen sein soll und dabei erst noch als die «progressive» Alternative gegolten habe. Im Weiteren ist Franziskus auch der erste Jesuit, der den Heiligen Stuhl besteigen wird. Schliesslich überrascht nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. aus Altersgründen auch etwas, dass der neue Pontifex bereits 76-jährig ist.

Bedeutsam dürfte sodann auch sein, dass Bergoglio, der 2001 noch von Johannes Paul II. zum Kardinal befördert worden war, weit von der umstrittenen römischen Kurie entfernt gewirkt und sich dabei vor allem als umsichtiger Pastor und Bischof erwiesen hat. Der am 17. Dezember 1936 in eine einfache Einwandererfamilie hineingeborene Bergoglio hatte sich nach einer anfänglichen Ausbildung zum Chemiker 1958 den Jesuiten angeschlossen. Dabei blieb er jedoch auf Distanz zu den damals populären Befreiungstheologen und wandte sich auch gegen politischen Aktivismus, weshalb ihm manchmal auch unterstellt wurde, sich gegenüber dem Militärregime zu anpasserisch verhalten zu haben.

Einfacher Lebensstil

Als Kardinal hat sich Bergoglio immer wieder als Anwalt der Armen verstanden und das auch mit seinem verhältnismässig einfachen Lebensstil zum Ausdruck gebracht. Er tauschte die Residenz des Erzbischofs gegen eine einfache Wohnung, fuhr im Bus zur Arbeit und kochte für sich selber. In Fragen der Sexualmoral gilt Bergoglio allerdings als eisern-konservativ.

Wie der neue Papst das Petrusamt verstehen und ausüben wird, lässt sich aufgrund des bisherigen Lebenslaufs höchstens vermuten. Entsprechend wird mit grosser Spannung erwartet, ob er schon in den nächsten Tagen erste richtungsweisende Entscheide fällen oder Akzente setzen wird. An offenen Baustellen mangelt es jedenfalls nicht. Wie etwa wird der neue Papst auf die mutmasslichen Skandale in der römischen Kurie reagieren? Mit diesen befasst sich ja der geheime, von drei Kardinälen verfassten «Vatileaks»-Bericht, den Benedikt XVI. seinem Nachfolger überlassen hat.

Und wie wird Franziskus mit dem ebenfalls offenen Dossier über die reaktionäre Pius-Bruderschaft umgehen? Oder wie gedenkt er die Glaubwürdigkeitskrise nachhaltig zu bewältigen, in welche die Missbrauchsskandale die Kirche gestürzt haben?

Es ist möglich, dass der neue Papst Franziskus schon am Donnerstagmorgen in der Sixtinischen Kapelle zusammen mit den Kardinälen eine Messe lesen und bei dieser Gelegenheit erste Andeutungen machen wird. Auch dies wird allerdings noch mit Vorsicht zu geniessen sein, hatte doch Benedikt XVI. bei der Gelegenheit in einer längeren Rede mehr Kollegialität, eine richtige Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils, Ökumene oder den Dialog mit den Kulturen in Aussicht gestellt, was falsche Hoffnungen weckte.

Bald erste Prioritäten?

Der nächste grosse Auftritt des neuen Papstes vor dem Volk der Gläubigen wird die Inaugurations-Messe sein, die üblicherweise vier oder fünf Tage nach der Wahl auf dem Petersplatz stattfindet. Dabei werden dem frisch gewählten Pontifex auch die päpstlichen Insignien wie insbesondere der Fischerring und das Pallium überreicht.

Schon kurz nach der Wahl, üblicherweise schon am zweiten Tag, obliegt es dem neuen Papst auch, die Kardinäle, die mit Beginn der Sedisvakanz ihre Spitzenämter automatisch verloren hatten, zumindest vorläufig wieder einzusetzen oder – was jedoch in dieser Anfangsphase eher sensationell wäre – bereits zu ersetzen.

Mit grosser Spannung wird schliesslich von Medienschaffenden abgewartet, wie der neue Papst Franziskus ihnen begegnen wird. Benedikt XVI. hatte vier Tage nach seiner Wahl zwar Tausenden von Journalisten eine Audienz gewährt und ihnen für ihre Anstrengungen gedankt, doch beantwortete er darauf keine einzige Frage.

(nzz)